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Kooptation

Zuwahl

Kooptation (lateinisch cooptatio), seltener auch Kooption, bedeutet Selbstergänzungs- oder Zuwahl. Ein zahlenmässig begrenzter Kreis von Personen ergänzt oder erweitert sich in eigener Kompetenz um Neumitglieder. Kooptation wird als Bestimmungsmodalität für und von limitierten Gruppen vermutlich seit Anbeginn menschlicher Kultur praktiziert und dürfte schon vor dem Verfahren der (Amts-)Einsetzung durch Wahlen in Gebrauch gewesen sein. Im altrömischen Recht wurden insbesondere die Volkstribunen und die Senatoren kooptiert.

Wahlelemente der römisch-republikanischen Tradition hielten sich südlich der Alpen bis ins Mittelalter. In den nördlichen Städten wurden in Hoch- und Spätmittelalter Räte als Hilfsorgane für Gericht und Verwaltung von den Feudalherren ernannt, doch nach deren Verdrängung bzw. Rückzug ging die Wahlfunktion auf die nachrückenden Räte über, die aber zum Teil auch von der Gemeinde bestimmt wurden. Während sich in der Schweiz in den Länderorten das Wahlrecht der Wehrfähigen durchsetzte, konnte sich in den Städten die freie und direkte Wahl der Ratsglieder nicht halten. Seit der Wende vom Mittelalter zur frühen Neuzeit ergänzten sich die Behörden in unterschiedlichen Verfahren selbst; den Bürger- und Gemeindeversammlungen blieb bestenfalls die Bestätigung der ratsintern getroffenen Wahl.

In Zürich wurde nach dem Bürgerkampf von 1336 die eine Hälfte des Kleinen Rates wahlweise von den Zünften bestellt, die andere von der Konstaffel als Vertretung ehemals führender Patrizier kooptiert; die Bestellung des Grossen Rates, manifest seit Mitte des 14. Jahrhunderts, erfolgte wahrscheinlich durch Kooptation des Kleinen Rates. In Bern ernannten Vertreter der vier grössten Zünfte, die sogenannten Venner, 16 Mitglieder des Grossen Rates, die zusammen mit dem Kleinen Rat den Grossen komplettierten. In Luzern setzte der alte Kleine Rat den neuen ein; ebenso ergänzte sich der Rat der Hundert selbst. Die Kooptation war ebenfalls Elektionspraxis in den anderen Städten. Selbst in den Länderorten, die formell die freie Wahl kannten, entwickelte sich eine faktische Kooptation, die sich auf Söhne und Schwiegersöhne erstreckte und welche die Macht in eigentlichen Dynastien, sogenannten Häupterfamilien (Häupter), zu konservieren vermochte. Wenn auch nicht unangefochten, vor allem in städtischen Unruhen und von der Aufklärung, bildete die Kooptation im Verständnis der Zeit ein Kernstück der frühneuzeitlichen politischen Kultur, das nicht im Widerspruch zur alteuropäischen republikanischen Freiheit und Gleichheit gesehen wurde. Als solches würdigt man die Kooptation in der heutigen Forschung zunehmend, ohne sie länger nur am naturrechtlich-egalitären Massstab der Französischen Revolution zu messen.

Mit der helvetischen Verfassung verschwand die Kooptation, tauchte aber in verdeckter Form in den Mediationsverfassungen und offen in den restaurativen Kantonsverfassungen wieder auf, am deutlichsten in Zürich, Bern, St. Gallen und Basel, weniger sichtbar in Luzern, Freiburg und Solothurn. Selbst in den neuen Kantonen Aargau, Thurgau, St. Gallen, Tessin und Waadt wurden die Räte nur zum Teil direkt vom Volk gewählt, die Übrigen aber unter direkter Beteiligung des Grossen Rates. Ab 1830, während der Regeneration, machte die Kooptation zunehmend dem allgemeinen Männerwahlrecht Platz, zuerst in den Kantonen St. Gallen, Thurgau, Basel-Landschaft und Waadt, 1841 dann in den Kantonen Aargau, Solothurn und Luzern sowie 1846 in Bern.

Die Bundesverfassung (BV) von 1848 schaffte die Kooptation mit dem Anspruch ab, Kantonsverfassungen hätten direktdemokratischen oder repräsentativ-republikanischen Grundanforderungen zu entsprechen. Die Forderung nach demokratischer Legitimation der Behörden findet sich in Artikel 51 der BV von 1999 bekräftigt. Demgegenüber ist die Kooptation weiterhin in wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verbänden, namentlich in Stiftungen, in Gebrauch. In abgeschwächter Form findet sie sich zudem in kantonalen Gesetzgebungen als Vorschlagsrecht für die Ergänzung von Gemeinderäten, Kommissionen und Verwaltungsräten öffentlich-rechtlicher Anstalten.

Quellen und Literatur

  • K. Loewenstein, Kooptation und Zuwahl, 1973
  • Peyer, Verfassung
  • P. Blickle, «Friede und Verfassung», in Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft 1, 1990, 15-202
  • A. Kölz, Neuere schweiz. Verfassungsgesch., 1992
Weblinks

Zitiervorschlag

Peter Steiner: "Kooptation", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.10.2008. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010379/2008-10-30/, konsultiert am 19.03.2024.