de fr it

Kleiner Rat

Als Teil der städt. Ratsverfassung (Räte) der eidg. Städteorte sowie der Munizipal- und Landstädte übte der K. die Funktion des kollegialen Leitungsorgans der Stadtgemeinden (Stadt) aus und sicherte damit deren Bestandsdauer und Handlungsfähigkeit. Der K. entwickelte sich im 14. Jh. aus einem kleinen Gremium "aus dem Kreis der Reichsten, Vornehmsten und Mächtigsten" (Eberhard Isenmann). Im K. sassen die höchsten Amtsträger der Stadt (Häupter), von denen der Bürgermeister bzw. Schultheiss und in Genf der Syndic den Vorsitz im K. führte, und 10-50 weitere Bürger. Er wurde in den (halb-)jährl. Ratsbesetzungen von den Bürgern bzw. Zünften, Quartieren oder Wahlmännerkollegien gewählt oder ergänzte sich selbst (Kooptation). Der K. entschied in allen innen- und aussenpolit. Fragen, war höchste Verwaltungsbehörde und vereinigte die wichtigsten gerichtl. Funktionen in sich. Er berief den Grossen Rat oft nach Ermessen ein, tagte gemeinsam mit ihm und beherrschte allgemein dessen Verhandlungen. Für Spezialaufgaben bildete der K. einen Geheimen Rat oder Kommissionen (Kammern). Ratsherren übten ihr Ehrenamt auf Lebenszeit aus. Abkömmlichkeit war ein zentrales Erfordernis für die Wählbarkeit. Bis ins 16. Jh. wechselten die Mitglieder des K.s gewöhnlich noch rasch. Mit der Aristokratisierung in der frühen Neuzeit verengte sich der Kreis der regierenden Geschlechter stark (Luzern: 45 Kleinratsgeschlechter 1501-10, 20 ab ca. 1680). Vom 15. Jh. an etablierte sich der K. als gottverordnete Obrigkeit gegenüber den Stadtbürgern und den Untertanen im Territorium. Diese Machtkonzentration beim K. führte zu Auseinandersetzungen mit dem Gr. Rat oder der (Zunft-)Bürgerschaft (Bern 1681-87, Schaffhausen 1689, Basel 1691, Zürich 1713, Solothurn 1723, Genf 18. Jh.).

Mit der Helvet. Revolution von 1798 verschwanden die Kl. Räte der eidg. Orte. Die nach dem dritten Staatsstreich vom 27. und 28.10.1801 eingerichtete helvet. Regierung trug den Namen K. 1803 wurden die kant. Kl. Räte wieder eingeführt. Sie übten die Funktion der Kantonsregierung aus, wobei vor 1848 die Kleinräte oft Mitglieder der kant. Parlamente blieben. In den Verfassungsrevisionen des 19. Jh. wurde die Bezeichnung K. zuerst in der lat. Schweiz durch Staatsrat (Waadt und Tessin 1814), schliesslich auch in der Deutschschweiz durch Regierungsrat (Zürich 1831, Luzern 1841, Schwyz 1848, Aargau 1852, Basel-Stadt 1875) ersetzt. In Graubünden hielt sich der Name K. für die kant. Exekutive bis 1971.

Quellen und Literatur

  • Peyer, Verfassung, 48-55, 107-116
  • HbSG 1, 253 f., 267 f., 548-557; 2, 687-692, 708-711, 750-757
  • Gesch. der Schweiz und der Schweizer 1, 1982, 146 f.; 2, 1983, 119-122, 132-136
  • Braun, Ancien Régime, 211-276
  • E. Isenmann, « Die städt. Gem. im oberdt.-schweiz. Raum (1300-1800)», in Landgem. und Stadtgem. in Mitteleuropa, hg. von P. Blickle, 1991, 191-261
  • S. Schüpbach-Guggenbühl, Schlüssel zur Macht, 2002
Weblinks

Zitiervorschlag

André Holenstein: "Kleiner Rat", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.06.2010. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/010236/2010-06-30/, konsultiert am 19.03.2024.