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BenitoMussolini

Anthropometrische Signalementskarte, angefertigt anlässlich der Verhaftung Mussolinis durch die Genfer Polizei am 11. April 1904 (Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, E4320#1970/25#115*).
Anthropometrische Signalementskarte, angefertigt anlässlich der Verhaftung Mussolinis durch die Genfer Polizei am 11. April 1904 (Schweizerisches Bundesarchiv, Bern, E4320#1970/25#115*).

29.7.1883 Dovia di Predappio (Emilia-Romagna), 28.4.1945 Giulino di Mezzegra (Gemeinde Mezzegra, Lombardei). Sohn des Alessandro, Eisenschmieds, und der Rosa geborene Maltoni, Lehrerin. 1915 Rachele Guidi. Benito Mussolini erwarb das Lehrerdiplom, war aber nur kurz als Lehrer tätig. Im Juli 1902 kam er, vor allem aus Abenteuerlust und ohne festes Ziel, in die Schweiz. Hier arbeitete er für das Organ der italienischen Sozialisten in der Schweiz, "L'Avvenire del Lavoratore", organisierte Versammlungen und hielt Vorträge für die italienischen Arbeiter. Ausserdem war er Sekretär der italienischen Maurer- und Hilfsarbeitergewerkschaft in Lausanne, übte verschiedene temporäre Tätigkeiten aus und kam mit wichtigen Exponenten des italienischen Sozialismus in der Schweiz in Kontakt. Weil er die Idee eines Generalstreiks mit gewaltsamen Mitteln unterstützte, wurde er im Juni 1903 im Kanton Bern verhaftet und ausgewiesen, nach Chiasso gebracht und der italienischen Polizei übergeben, die ihn jedoch freiliess. Er kehrte in die Schweiz zurück, wurde aber im April 1904 vom Kanton Genf ausgewiesen, da er das Gültigkeitsdatum seines Passes gefälscht hatte; dank den Protesten der Genfer Sozialisten und auf Intervention der Tessiner Regierung wurde er schliesslich in Bellinzona wieder freigelassen. Am 7. Mai immatrikulierte er sich an der Universität Lausanne, wo er Vorlesungen von Vilfredo Pareto und Pasquale Boninsegni belegte; gleichzeitig hielt er weitere Reden für italienische Arbeiter. Im November 1904 kehrte er Lausanne endgültig den Rücken und ging nach Italien zurück, weil er von der Amnestie für einfache Fahnenflucht, für die er in Abwesenheit verurteilt worden war, profitieren wollte. Die zweieinhalb Jahre, die Mussolini – mit zwei Unterbrechungen von ca. vier Monaten – in der Schweiz verbracht hatte, waren für seinen intellektuellen und politischen Werdegang grundlegend.

Karikatur zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Lausanne, kommentarlos erschienen im Nebelspalter, 1937, Nr. 14 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica).
Karikatur zur Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Universität Lausanne, kommentarlos erschienen im Nebelspalter, 1937, Nr. 14 (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern; e-periodica). […]

Nachdem er in den folgenden Jahren zu einem Führer des revolutionären Flügels der sozialistischen Partei Italiens aufgestiegen und 1912 zum Herausgeber des "Avanti!", des offiziellen Parteiorgans, ernannt worden war, wurde er 1913 nach Zürich eingeladen, um eine 1.-Mai-Rede auf Italienisch zu halten; im Juli desselben Jahres sprach er vor italienischen Arbeitern in Flamatt. Nach dem Krieg und der Gründung der faschistischen Bewegung hielt Mussolini als Mitglied der italienischen Abgeordnetenkammer im Juni 1921 eine Rede, in der er auf die "Gotthardgrenze" anspielte (Irredentismus), weshalb die Schweiz ihn mit einem Einreiseverbot belegte. Im November 1922, kurz nach dem Marsch auf Rom und der Ernennung zum Regierungschef, war er in Lausanne zur Eröffnung der Konferenz über den Frieden im Nahen Osten (Revision des Vertrags von Sèvres); im Oktober 1925 kam er nach Locarno, um den Locarno-Pakt zu verabschieden, der zu einer vorübergehenden Entspannung zwischen den europäischen Grossmächten führte. Am 24. April 1933 hatte er in Rom das einzige Gespräch mit Bundesrat Giuseppe Motta, bei dem auch die Italianità des Tessins zur Sprache kam. 1937 zeichnete die Universität Lausanne ihren ehemaligen Studenten mit der Ehrendoktorwürde aus, was zu einer heftigen Polemik führte. Trotz der offiziellen Freundschaftsbekundungen zögerte Mussolini nicht, in den Jahren 1930-1940 die schweizerischen Anhänger des Faschismus, Arthur Fonjallaz und Georges Oltramare, persönlich zu unterstützen; zudem äusserte er sich zuweilen – wie das Tagebuch des Schwiegersohns Galeazzo Ciano zeigt – verächtlich über die Institutionen und die Demokratie in der Schweiz. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, im Januar 1944, gelang es der Tochter Edda Ciano, in die Schweiz einzureisen; im April 1945 wurde seine Ehefrau Rachele zusammen mit den Kindern an der Grenze in Chiasso zurückgewiesen. Als Mussolini versuchte, sich – vermutlich Richtung Schweiz – in Sicherheit zu bringen, wurde er von den Partisanen in der Nähe von Dongo (am Comersee) aufgegriffen und zusammen mit seiner Geliebten Claretta Petacci erschossen.

Quellen und Literatur

  • BAR und AEG, Polizeidossier
  • DDS, 8-15
  • R. De Felice, Mussolini il rivoluzionario, 1965, 23-45
  • K. Spindler, Die Schweiz und der ital. Faschismus 1922-1930, 1976
  • M. Mattmüller, «Mussolini in Svizzera (1902-1904)», in Nuova Antologia, 1981, H. 2139, 196-212
  • P. Martig, «Mussolini und die Schweiz», in BZGH, 45, 1983, 185-196
  • M. Cerutti, Fra Roma e Berna, 1986
  • O. Robert, Matériaux pour servir à l'histoire du doctorat h.c. décerné à Benito Mussolini en 1937, 1987
Weblinks
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VIAF
Kurzinformationen
Lebensdaten ∗︎ 29.7.1883 ✝︎ 28.4.1945

Zitiervorschlag

Mauro Cerutti: "Mussolini, Benito", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 06.04.2010, übersetzt aus dem Italienischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/027903/2010-04-06/, konsultiert am 11.04.2024.