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HansKüng

* 19.3.1928 Sursee, † 6.4.2021 Tübingen, katholisch, von Sursee. Katholischer Theologe am Zweiten Vatikanischen Konzil und in der Nachkonzilszeit, Ökumeniker, Reformer und Kritiker der katholischen Kirche.

Porträt von Hans Küng, fotografiert für eine Reportage in der Zeitschrift L'Illustré im Oktober 2005 (Eddy Mottaz).
Porträt von Hans Küng, fotografiert für eine Reportage in der Zeitschrift L'Illustré im Oktober 2005 (Eddy Mottaz).

Hans Küng wurde als ältestes von acht Kindern in eine traditionell katholische Kaufmannsfamilie geboren. Er wuchs mit zwei Brüdern, die früh verstarben, und fünf Schwestern auf. Sein Vater Hans Küng führte in der Stadt Sursee ein Schuhgeschäft in dritter Generation, zusammen mit seiner Frau Emma geborene Gut, einer Bauerntochter aus dem nahe gelegenen Kaltbach. Küng besuchte die Primarschule in Sursee und die Kantonsschule in Luzern. Nach der Matura studierte er 1948-1955 Philosophie (lic. phil. 1951) und Theologie (lic. theol. 1955) als Alumne des Collegium Germanicum et Hungaricum an der Gregoriana in Rom. Hier empfing er 1954 die Priesterweihe. 1955-1957 promovierte er am Institut catholique de Paris mit einer überkonfessionell viel beachteten Dissertation über die Rechtfertigungslehre Karl Barths aus katholischer Sicht (Katholizismus), welche die Basis für sein lebenslanges ökumenisches Engagement bildete. Von Oktober 1957 bis März 1959 war er als Vikar in der Pfarrseelsorge an der Hofkirche in Luzern tätig.

1959 ging Küng als wissenschaftlicher Assistent an die Universität Münster und begann eine Habilitation über Georg Wilhelm Friedrich Hegels theologisches Denken. Vor deren Fertigstellung wurde der erst 32-Jährige 1960 Professor für Fundamentaltheologie an der katholisch-theologischen Fakultät der Universität Tübingen. 1963 wechselte er auf den neu eingerichteten Lehrstuhl für Dogmatik und ökumenische Theologie und wurde Direktor des neu gegründeten Instituts für ökumenische Forschung. In Vorbereitung auf das Zweite Vatikanische Konzil (Vatikanische Konzile) artikulierte Küng die ökumenischen und reformerischen Erwartungen in Konzil und Wiedervereinigung, das 1960 mit einem Vorwort von Kardinal Franz König erschien. Das Buch wurde in mehrere Sprachen übersetzt und machte ihn international bekannt. Von Papst Johannes XXIII. zum Peritus ernannt, nahm er 1962-1965 als einer der jüngsten Theologen und zeitweiliger Berater des Rottenburger Bischofs Carl Joseph Leiprecht am Konzil teil.

In einer ersten Schaffensphase widmete Hans Küng sein Werk in Übereinstimmung mit der Agenda des Konzils Fragen der Kirchenreform und der christlichen Ökumene. Im Buch Die Kirche (1967) entwarf er ein biblisch begründetes, die Ergebnisse der historisch-kritischen Forschung einbeziehendes und die Tradition der katholischen Kirche zugleich kritisch reflektierendes, ökumeneoffenes Verständnis von Kirche. Davon ausgehend hinterfragte er die katholische Ämterstruktur, die Stellung der Bischöfe sowie jene des Papsttums und votierte für eine grundlegende Erneuerung der katholischen Ekklesiologie als Voraussetzung für eine Wiedervereinigung der getrennten christlichen Kirchen. Seine Überlegungen vertiefte er namentlich in der dogmenhistorischen Studie Unfehlbar? Eine Anfrage (1970). Darin untersuchte er die 1870 definierte Lehre der päpstlichen Unfehlbarkeit und kritisierte unter Bezugnahme auf die 1968 erlassene Enzyklika Humanae vitae zur Frage der Empfängnisverhütung das kirchliche Lehramt, das sich der vom Konzil angestossenen Reform versage. Besonders dieses Buch löste eine internationale Kontroverse aus und wurde – wegen der unterschiedlichen Dogmeninterpretation – auch von Konziltheologen wie Karl Rahner kritisiert. Beide Werke führten zu jahrelangen Konflikten mit dem Lehramt, die 1975 mit der Vereinbarung beigelegt wurden, dass Küng sich nicht mehr zur Frage der päpstlichen Unfehlbarkeit äussere und die Glaubenskongregation von Sanktionen gegen ihn absehe. In Christ sein (1974), dem ersten Band einer Trilogie, vermittelte Küng eine gewinnende Vorstellung des Christentums in der Moderne und versuchte als pastorales Ziel den Glauben gerade auch der am Rande der Kirche(n) stehenden Menschen zu stärken. Manche Aussagen über das Christusverständnis brachten ihm jedoch den Vorwurf ein, die katholische Glaubenslehre nicht angemessen zu berücksichtigen. 1978 folgte mit Existiert Gott? der zweite Band, in dem Küng für die Plausibilität des Gottesglaubens vor dem Hintergrund der Religionskritik der Moderne argumentierte, 1982 erschien schliesslich Ewiges Leben?, das die Frage nach dem Tod auslotet.

Buchumschläge ausgewählter zwischen 1960 und 1982 erschienener Werke von Hans Küng (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Buchumschläge ausgewählter zwischen 1960 und 1982 erschienener Werke von Hans Küng (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).

Nach einer erneuten Infragestellung der päpstlichen Unfehlbarkeit in seinem Geleitwort zu August Bernhard Haslers Monografie Wie der Papst unfehlbar wurde 1979 und seinem Plädoyer im gleichzeitig erschienenen Werk Kirche – gehalten in der Wahrheit?, das Petrusamt als Dienstamt zu verstehen, wurden Disziplinarmassnahmen gegen Hans Küng ergriffen. Papst Johannes Paul II. entzog ihm am 18. Dezember 1979 ohne Ankündigung und ohne formales Verfahren die kirchliche Lehrerlaubnis, die ihm trotz weltweiter Sympathie- und Solidaritätsbekundungen fortan verwehrt blieb. Priester durfte er bleiben. Von 1980 bis zu seiner Emeritierung 1996 lehrte er als Professor für ökumenische Theologie an dem für ihn aus der katholisch-theologischen Fakultät ausgegliederten Institut für ökumenische Forschung in Tübingen.

Hans Küng in der Sendung Blickpunkt des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 20. Dezember 1979 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF).
Hans Küng in der Sendung Blickpunkt des Fernsehens der deutschen Schweiz vom 20. Dezember 1979 (Schweizer Radio und Fernsehen, Zürich, Play SRF). […]

Der Entzug der Lehrerlaubnis markierte eine entscheidende Zäsur in Küngs Leben und theologischer Laufbahn. Zwar hörte er auch nach 1979 nicht auf, Reformen innerhalb der katholischen Kirche anzumahnen, doch weitete sich in der nunmehr einsetzenden zweiten Schaffensphase sein Denkhorizont auf neue Themen aus: die auf Theologie und Kirche übertragenen Paradigmen der Moderne, Frau und Christentum, Theologie und Literatur, Religion und Musik, Religion und Naturwissenschaft, die Weltreligionen und ihr Beitrag für den Weltfrieden, das Erfordernis eines Weltethos. Er entwickelte 1984 – die Initiative des Konzils weiterdenkend – eine Theologie des Dialogs mit den Weltreligionen und legte Monografien zu Judentum, Christentum und Islam sowie zu asiatischen und afrikanischen Religionen vor. Dabei liess er sich von der Überzeugung leiten, dass es weder einen Weltfrieden ohne Frieden unter den Religionen noch eine wirkliche Verständigung zwischen den Nationen ohne Verständigung zwischen den Religionen geben könne. Darauf aufbauend entwickelte er 1990 in Projekt Weltethos ein Konzept, das er im Parlament der Weltreligionen in Chicago 1993 sowie an der Vollversammlung der Vereinten Nationen 2001 vorstellte und zu dessen Verwirklichung 1995 eine eigenständige Stiftung gegründet wurde. 2002-2013 erschienen Küngs autobiografische Erinnerungen in drei Bänden, die bei aller Selbstbezogenheit eine wichtige kirchen- und ideengeschichtliche Quelle darstellen.

Der weltweit renommierte Theologe und Intellektuelle erhielt zahlreiche Ehrendoktorate sowie kirchliche und staatliche Auszeichnungen. Seine Bücher erreichten hohe Auflagen und wurden in viele Sprachen übersetzt. 1998 wurde Hans Küng Ehrenbürger von Sursee, 2002 von Tübingen. 2021 weihte die Stadt Sursee einen nach ihm benannten Platz ein. Vom Zweiten Vatikanischen Konzil zutiefst geprägt, bemühte er sich zeitlebens um dessen Rezeption sowie um eine Erneuerung der Kirche im Sinne des Evangeliums. Dabei benannte der Denker scharfsichtig die zeitgenössischen Hauptfragen der Theologie und behandelte sie – häufig dem kirchlich-theologischen und ökumenischen Diskurs vorgreifend – auf innovative sowie sprachlich prägnante Weise. Hans Küng stand der katholischen Kirche bei aller Streitbarkeit auch nach dem Entzug der Lehrerlaubnis in kritischer Loyalität gegenüber; die Rehabilitierung seiner Person und seines theologischen Werks durch die Amtskirche blieb ihm zu Lebzeiten jedoch versagt.

Quellen und Literatur

  • Küng, Hans: Konzil und Wiedervereinigung. Erneuerung als Ruf in die Einheit, 1960.
  • Küng, Hans: Die Kirche, 1967.
  • Küng, Hans: Unfehlbar? Eine Anfrage, 1970.
  • Küng, Hans: Christ sein, 1974.
  • Küng, Hans: Existiert Gott? Antwort auf die Gottesfrage der Neuzeit, 1978.
  • Küng, Hans: Kirche – gehalten in der Wahrheit?, 1979.
  • Küng, Hans: Ewiges Leben?, 1982.
  • Küng, Hans: Projekt Weltethos, 1990.
  • Küng, Hans: Erkämpfte Freiheit. Erinnerungen, 2002.
  • Küng, Hans: Umstrittene Wahrheit. Erinnerungen, 2007.
  • Küng, Hans: Erlebte Menschlichkeit. Erinnerungen, 2013.
  • Küng, Hans: Sämtliche Werke, hg. von Stephan Schlensog, 24 Bde., 2015-2020.
  • Greinacher, Norbert; Haag, Herbert (Hg.): Der Fall Küng. Eine Dokumentation, 1980.
  • Häring, Hermann; Nolte, Josef (Hg.): Diskussion um Hans Küng «Die Kirche», 1971.
  • Häring, Hermann; Kuschel, Karl-Josef (Hg.): Hans Küng. Weg und Werk, 1978.
  • Baumann, Urs: «Hans Küng – Theologie auf dem Weg zu einem neuen Paradigma», in: Leimgruber, Stephan; Schoch, Max (Hg.): Gegen die Gottvergessenheit. Schweizer Theologen im 19. und 20. Jahrhundert, 1990, S. 469-498.
  • Nowell, Robert: Hans Küng, Leidenschaft für die Wahrheit. Leben und Werk, 1993 (englisch 1981).
  • Becker, Rolf: Hans Küng und die Ökumene. Evangelische Katholizität als Modell, 1996.
  • Häring, Hermann: Hans Küng. Grenzen durchbrechen, 1998.
  • Hilberath, Bernd Jochen (Hg.): Dimensionen der Wahrheit. Hans Küngs Anfrage im Disput, 1999.
  • Zamagni, Gianmaria: La teologia delle religioni di Hans Küng. Dalla salvezza dei non cristiani all’etica mondiale (1964-1990), 2005.
  • Derwahl, Freddy: Der mit dem Fahrrad und der mit dem Alfa kam. Benedikt XVI. und Hans Küng – ein Doppelporträt, 2006.
  • Kuschel, Karl-Josef; Schlensog, Stephan (Hg.): Hans Küng – eine Nahaufnahme, 2008.
  • Karrer, Leo: «Hans Küng und die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils», in: Bedouelle, Guy; Delgado, Mariano (Hg.): Die Rezeption des II. Vaticanums durch Schweizer Theologen, 2011, S. 141-154.
  • Kuokkanen, Aleksi: Constructing Ethical Patterns in Times of Globalization. Hans Küng's Global Ethic Project and Beyond, 2012.
  • Schlensog, Stephan (Hg.): Lebenswerk. Freunde und Theologen zu Hans Küng, 2019 (Festschrift).
Weblinks
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Lebensdaten ∗︎ 19.3.1928 ✝︎ 6.4.2021

Zitiervorschlag

Franz Xaver Bischof: "Küng, Hans", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.08.2023. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/009903/2023-08-08/, konsultiert am 29.03.2024.