de fr it

Bevölkerung

Die Quellen zur Demografie auf dem Gebiet der heutigen Schweiz sind bis ins späte Mittelalter spärlich. Da zudem die Bevölkerung in den drei Hauptzonen Jura, Mittelland und Alpen sehr unterschiedlich wuchs, erweist sich eine globale Schätzung der frühen Bevölkerungszahlen als schwierig. Eng mit der Entwicklung der Bevölkerung verbunden sind die Siedlungsgeschichte (Siedlung), die Migrationsgeschichte und die Geschichte des Wirtschaftswachstums (Konjunktur).

Urgeschichte bis Hochmittelalter

Unter Berücksichtigung der damals vorhandenen Techniken und Ressourcen schätzen Archäologen die Bevölkerung im schweizerischen Mittelland auf 10'000-20'000 Personen im Neolithikum und auf 30'000-40'000 Personen in der Eisenzeit. Diese Bevölkerungszunahme ging mit der Weiterentwicklung in der Metallverarbeitung einher und war die Folge stärkerer Wanderungsbewegungen wie auch vermehrten Handels. In der Bronzezeit führte vor allem der Tauschhandel zur Besiedlung von Berggebieten. Unmittelbar vor der Eroberung durch die Römer werden die Angaben zuverlässiger. Nachdem Caesar 58 v.Chr. die Helvetier in der Schlacht bei Bibracte geschlagen hatte, lebten im Mittelland nach allgemeiner Auffassung und gestützt auf Caesars Bericht knapp 150'000 Personen, was einer Dichte von 13 Einwohnern/km² entspricht.

Unter römischer Herrschaft bestand die Landbevölkerung im 2. Jahrhundert n.Chr. Schätzungen zufolge aus 120'000 Einwohnern, zu welchen in den drei Coloniae Augusta Raurica, Aventicum und Colonia Iulia Equestris, in dem Marktort Forum Claudii Vallensium (Octodurus), dem Legionslager Vindonissa sowie den rund zwanzig Vici weitere 70'000 Personen hinzukamen. Als Folge der Alemannen- und Burgundereinfälle verringerte sich die Bevölkerung stark, und erst im 6. und 7. Jahrhundert entstanden neue Siedlungen. Von der Jahrtausendwende bis zum Ende des hochmittelalterlichen Landesausbaus um 1300 wuchs die Bevölkerung schätzungsweise von knapp 500'000 auf 700'000-850'000 Personen. Ein wirtschaftlicher Aufschwung begleitete dieses Wachstum: Neueren Schätzungen zufolge konnte die landwirtschaftliche Nutzfläche im Mittelland durch Urbarisierung um gut einen Viertel bis einen Drittel erweitert werden. Bestehende Ortschaften wurden ausgebaut, neue Siedlungen gegründet, und zwar im Flachland wie in Höhenlagen, auf den Jurahöhen und in den Voralpen ebenso wie in den Alpen. Das markante Bevölkerungswachstum dauerte bis gegen Mitte des 13. Jahrhunderts.

Die Bevölkerungszunahme ging einher mit einer Welle von Städtegründungen und Stadterweiterungen. Seit der Antike bestehende Civitates wurden zu Bischofsresidenzen und entgingen dem Untergang (Genf, Lausanne, Sitten, Basel und Chur). Andernorts wuchsen Siedlungen um Klöster und Pfalzen zu Städten (z.B. Luzern, St. Gallen, Zürich). Im Lauf des 12. Jahrhunderts vergrösserte sich die Siedlungsfläche der bestehenden Städte zum Teil auf das Doppelte bis Dreifache. Betrug zum Beispiel die Einwohnerzahl Genfs Ende des 11. Jahrhunderts lediglich 1350 Personen, so waren es 1250 nahezu 3800 Einwohner. Auch eigentliche Stadtgründungen trugen zum Aufschwung des Städtewesens bei. Zu den 17 Städten, die das Frühmittelalter überdauert hatten, kamen im 12. Jahrhundert 15, im 13. Jahrhundert 156 und im 14. Jahrhundert 8 neue hinzu. Einige blieben infolge der hohen Städtedichte im schweizerischen Mittelland sehr klein. Die Kleinheit der Schweizer Städte erklärt, weshalb die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern, gemessen am modernen Kriterium der Mindestgrösse von 5000 Einwohnern, am Ende des Hochmittelalters einen geringen Urbanisierungsgrad aufwies: Um 1300 lebten weniger als 3% der Gesamtbevölkerung in Städten dieser Grösse, gegenüber 7,9% in Deutschland, 8% in Frankreich und 20,8% in Italien.

Die Krise im Spätmittelalter

In einigen Regionen, vor allem in der Westschweiz, zeichnet sich mit den Erschütterungen um 1320 zum ersten Mal ein verlangsamtes Bevölkerungswachstum ab. Für die Zeit danach häufen sich die Anzeichen, dass sich die Lebensbedingungen verschlechterten und infolge einer relativen Übervölkerung Ressourcenknappheit herrschte (Krise des Spätmittelalters). In einigen höher gelegenen Regionen wurde die kurz vor der grossen Pest bestehende Bevölkerungsdichte erst zu Beginn des 19. Jahrhunderts wieder erreicht, zu einem Zeitpunkt also, da die Landwirtschaft wesentlich weiter entwickelt war. Dies gilt vor allem für das Wallis. Vom durch die Pestzüge und die Agrarkrise bedingten Bevölkerungsrückgang war indes nicht die gesamte Schweiz betroffen: Die Dörfer im Neuenburger Jura und im Berner Oberland verzeichneten einen ungebremsten Aufschwung. Im Glarnerland entstanden neue Pfarreien. Auch für die Zentralschweiz gibt es eindeutige Anzeichen für ein anhaltendes Bevölkerungswachstum.

Wie die Landschaft wurden im 14. Jahrhundert auch die Städte ganz unterschiedlich von der Bevölkerungskrise betroffen. Insgesamt war das 15. Jahrhundert klar durch ein grosses Städtesterben geprägt. Die Hälfte der 200 (Kleinst-)Städte, die um 1400 im Gebiet der Schweiz bestanden, verwandelten sich in Dörfer oder verschwanden ganz. Auch die weiter bestehenden Städte entwickelten sich auf ungleiche Weise. Einige erlebten einen allmählichen Niedergang, in anderen setzte mit ihrer zunehmenden Bedeutung im internationalen Handel ein Bevölkerungswachstum ein. Im internationalen Vergleich blieben die Schweizer Städte jedoch von bescheidener Grösse. Basel und Genf, die damals grössten, zählten kaum 10'000 Einwohner. Wie überall in Europa ging das Wachstum der Städte auf das Konto der Landflucht (Binnenwanderung). Da die Sterbeziffer (Mortalität) in den Städten die Geburtenziffer (Natalität) in der Regel übertraf, musste das Defizit durch Zuwanderung wettgemacht werden, wie zahlreiche Einbürgerungen belegen. Dennoch konnte ein Bevölkerungsschwund nicht immer verhindert werden. Die gewichtige Rolle, welche die Zuwanderung aus ländlichen Gebieten, vor allem von Lohnarbeitern und Gesinde, bereits im Mittelalter spielte, ist allgemein bekannt. Es gilt aber auch die Bedeutung nicht zu verkennen, die diesen Menschen bei der Erneuerung der städtischen Eliten zukommt. Angehörige der Führungsgruppen der Schweizer Städte zollten ab dem 14. Jahrhundert – eine Besonderheit in Europa – einen hohen Tribut in fremden Diensten, was wiederum Zugewanderten Gelegenheit zum sozialen Aufstieg gab. Am Beispiel von Luzern lässt sich gut zeigen, welche Möglichkeiten den Zuwanderern und ihren Nachkommen offen standen. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts und im 15. Jahrhundert konnten die Nachkommen von Zugewanderten aus privilegierter Stellung in die höchsten Positionen der Stadt gelangen.

Auch in räumlicher Hinsicht entwickelte sich die Bevölkerung ungleich. Sie wuchs im 15. Jahrhundert in Berggebieten stärker, sei es, dass sich die von der demografischen Krise verschonten Gebiete weiter entwickeln konnten, sei es, dass der Aufschwung nach den Pestzügen früher einsetzte. Zudem verlief das Wachstum im Alpenraum regelmässiger als im Mittelland, das häufiger von Epidemien und Kriegswirren heimgesucht wurde. Diese Sonderstellung der Berggebiete könnte die Zunahme der mit der allgemeinen Entwicklung der Reisläuferei im 15. Jahrhundert gekoppelten Migrationsbewegungen erklären. Es ist anzunehmen, dass die Bevölkerungsdichte im Spätmittelalter in den Alpen- und Voralpenregionen die Grenze der Tragfähigkeit erreicht hat. Auch strukturelle Veränderungen in der alpinen Landwirtschaft werden dazu beigetragen haben: Die intensiver betriebene Viehwirtschaft benötigte weniger Arbeitskräfte als der zurückgedrängte Ackerbau. Die Bevölkerungsdichte in den Berggebieten erklärt zum Teil auch das politische Gewicht, das den eidgenössischen Orten des Alpenraums in der gesamten Eidgenossenschaft noch auf der Schwelle zum 16. Jahrhundert zukam.

16. und 17. Jahrhundert

Erst Anfang des 16. Jahrhunderts erreichte die Bevölkerungszahl in der Schweiz wieder den Stand, den sie vor dem Einbruch des 14. Jahrhunderts aufgewiesen hatte. Abgesehen von kurzen und vereinzelten Rückschlägen waren die ersten zwei Drittel des Jahrhunderts von einer Bevölkerungszunahme mit jährlichen Wachstumsraten von 0,6-1% geprägt. Mit dem Anstieg der Bevölkerung, die Anfang des 17. Jahrhunderts rund 900'000 Personen umfasste, ging eine vielfach belegte Verbesserung und Ausweitung der Bodennutzung einher. Auch die Gewichte zwischen den einzelnen Teilräumen der Schweiz verschoben sich. Nach 1500 verzeichneten die von Gewerbe, Handel und erster Protoindustrie wenig berührten Berggebiete innerhalb der Eidgenossenschaft einen relativen Rückgang. Der Anteil der Gebirgskantone an der gesamten schweizerischen Bevölkerung ging sukzessive von 50-53% (um 1500) über 43% (1600) auf 34% (1700) zurück.

"Ein Kleydung wider den Todt". Anonymer Stich aus dem 17. Jahrhundert (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv).
"Ein Kleydung wider den Todt". Anonymer Stich aus dem 17. Jahrhundert (Zentralbibliothek Zürich, Graphische Sammlung und Fotoarchiv). […]

Die Gründe für das Wachstum der Bevölkerung sind erst zum Teil bekannt, obschon es vor allem ab dem 16. Jahrhundert nicht an Quellen mangelt. Einer durch regionale Untersuchungen gestützten Annahme zufolge hatten die Menschen während und nach den Pestzügen ihr Reproduktionspotenzial durch frühe Heiraten (Nuptialität) und erhöhte Geburtenzahlen voll ausgeschöpft. Dieses aus Krisenzeiten stammende demografische Verhaltensmuster behielten sie auch nach dem Abklingen der Epidemien bei. Feststellbar ist auch, dass diese Dynamik nicht nur auf die einheimische Bevölkerung zurückzuführen ist. Die Einwanderung, deren Verlauf zusehends besser erforscht wird, spielte beim Bevölkerungsanstieg im 16. Jahrhundert eine wesentliche Rolle, zumindest bis zu dem Moment, da die ersten Massnahmen zu ihrer Beschränkung in den Städten wie in den Dörfern zu greifen begannen. Im ausgehenden 16. und frühen 17. Jahrhundert nahm die Bevölkerung in manchen Regionen nur noch langsam zu oder sogar ab. Damals dürfte das Bevölkerungswachstum zusammen mit der Verbesserung der Bodennutzung auf immer weiter unterteilten Nutzflächen eine obere Grenze erreicht haben. Der folgende konjunkturelle Rückgang war gekoppelt mit einer steigenden Sterbeziffer (zu der auch die in grossem Stil betriebene Reisläuferei in den Diensten Frankreichs, Spaniens und Savoyens beigetragen hat) und einer offenbar sinkenden Fruchtbarkeit. Von diesem Schema ausgenommen waren jene Regionen, in denen sich eine Modernisierung der wirtschaftlichen Strukturen in Richtung Protoindustrialisierung bemerkbar machte.

Die Haupttendenzen des 17. Jahrhunderts sind rasch nachgezeichnet: bis 1640-1650 ein schwaches Wachstum mit wiederholten Epidemien und Krisen, 1650-1680 eine gesamtschweizerische Bevölkerungszunahme, allerdings mit regional unterschiedlicher Ausprägung je nach Einfluss der Auswanderung, der Bodennutzung, der protoindustriellen Heimarbeit und des Heiratsverhaltens. Das Wachstum ergab sich aus einer höheren Lebenserwartung und einer steigenden Geburtenrate, die (ohne Berücksichtigung der Kinder, die vor der Taufe starben) häufig über 40‰ lag. Teuerungen und Epidemien führten im ausgehenden 17. Jahrhundert zu einer Trendwende in der Bevölkerungsentwicklung, die sich je nach Region sehr unterschiedlich auswirkte. Gesamthaft wuchs die Bevölkerung in der Schweiz im 17. Jahrhundert von 0,9 auf 1,2 Mio. Einwohner, was einer jährlichen Zuwachsrate von 0,28% entspricht.

Bevölkerungskontrolle

Bis ins 17. Jahrhundert waren hohe Heirats- und Geburtenraten sowohl in der Stadt – wie zum Beispiel in den gut untersuchten Städten Genf, Zürich und Liestal – als auch auf dem Land die Regel. Da aber solche hohen Raten die soziale Reproduktion gefährdeten, erwiesen sich neue Strategien vor allem im städtischen Milieu als erforderlich (Bevölkerungspolitik). Die städtischen Eliten folgten Vorbildern aus dem deutschsprachigen Raum und setzten Heiratsbeschränkungen (Ehehindernisse) wie auch Mittel der Einwanderungskontrolle ein und konnten sich so ihre Privilegien sichern. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts galten in allen katholischen wie reformierten Städten – in Genf als Grenzstadt ohne grosses Umland in geringerem Masse – äusserst restriktive Einreisebestimmungen, die bewirkten, dass eine stärkere Zuwanderung, selbst aus den eigenen Untertanengebieten, unterbunden wurde. Hinzu kam, dass ab Mitte des 17. Jahrhunderts die Geburtenregelung in reformierten Städten in den wohlhabenden Familien allgemein eingeführt war – in Zürich und Genf nach einem Anstieg der Geburtenrate – sodass die Geburtenziffer in den Städten im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts in allen Schichten zurückging. So brachten in Zürich lediglich 8,2% der Frauen, die 1580-1649 geheiratet hatten, ihr letztes Kind vor ihrem 35. Geburtstag zur Welt, im Zeitraum 1650-1689 aber bereits 21,1%. Auch das Geschlecht der Kinder war für die Familienplanung von Bedeutung. Paare mit mehreren Söhnen zeigten sich abgeneigt, weitere Nachkommen zu zeugen. Insgesamt ist die Bevölkerungszunahme ab Ende des 17. Jahrhunderts auf die ländliche Bevölkerung protoindustrialisierter Gegenden zurückzuführen, ohne dass die Städte (auch dank des demografischen Verhaltens) ihre wirtschaftliche Vormachtstellung aufgrund der Protoindustrialisierung eingebüsst hätten.

Wachstum im 18. und 19. Jahrhundert

Von 1700 bis 1914 wuchs die Bevölkerung der Schweiz von 1,2 Mio. auf 3,9 Mio. Einwohner. Allerdings stechen einmal mehr regionale Unterschiede ins Auge, langfristige Folgen der im ausgehenden 17. Jahrhundert ausgelösten demografischen Krise: In einigen Regionen, zum Beispiel im Glarnerland, folgte auf den Einbruch eine rasche Erholung, in anderen Gebieten wie dem Waadtländer Jura oder dem Thurgau stagnierte die Entwicklung mehrere Jahrzehnte, im Tessin sogar ein ganzes Jahrhundert lang. Mitunter, zum Beispiel im Unterengadin, kündigte die Krise gar eine rückläufige Bevölkerungsentwicklung an, die sich bis Anfang des 19. Jahrhunderts fortsetzte.

Allgemein setzte nach 1730 eine Bevölkerungszunahme ein, zu welcher die einzelnen Regionen je nach wirtschaftlicher Dynamik der Industrie oder Landwirtschaft in unterschiedlichem Mass beisteuerten. Der Anstieg, der in einigen Hügel- und Voralpengebieten sehr stark ausfiel, ging nicht in erster Linie auf eine rückläufige Mortalität zurück, sondern vielmehr auf eine höhere Fruchtbarkeit, verbunden mit einem sinkenden Heiratsalter und einer geringeren Mobilität der fortpflanzungsfähigen Männer und Frauen. Eindeutig bewirkte die Protoindustrie dort, wo sie sich stark entwickelte, dass sich Leute niederliessen, die ansonsten auf Dauer oder zumindest auf Zeit hätten abwandern müssen. Die Verlangsamung des Wachstums, die Ende des 18. Jahrhunderts einsetzte und fast ein Vierteljahrhundert anhielt, war ebenso eine Folge der Konjunkturabkühlung wie der Revolutionswirren, die wiederum den Aussenhandel (Kontinentalsperre) und den Arbeitsmarkt überlagerten.

Mittleres jährliches Wachstum der Wohnbevölkerung nach Kantonen
Mittleres jährliches Wachstum der Wohnbevölkerung nach Kantonen […]

Die positive gegenseitige Beeinflussung demografischer, wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Faktoren begünstigte ein rasches Anwachsen der Bevölkerung im 19. Jahrhundert. Neben institutionellen Faktoren wie der Niederlassungsfreiheit, welche die Binnenwanderung förderte, waren auch die Industrialisierung, die Urbanisierung und der Ausbau des Dienstleistungssektors im Zuge des Wirtschaftswachstums massgebend. Insgesamt verlief die Bevölkerungsentwicklung sehr ungleich: Ein Merkmal war, vor allem ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der rückläufige Trend in den Berggebieten. Der Bevölkerungsrückgang in den Alpenregionen – und allgemein deren sinkender Stellenwert – ist in erster Linie auf die Industrialisierung zurückzuführen, die bewirkte, dass die Protoindustrie teilweise aufgegeben und die Produktionsstätten wegen des wachsenden Energiebedarfs in die Täler und in das Flachland verlegt wurden. Verstärkend wirkte sich die Agrardepression aus, die im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts die Schweiz ebenso wie das übrige Europa traf und einen Exodus aus Land- und Berggebieten auslöste.

Obwohl die Wachstumsraten in beiden Hälften des 19. Jahrhunderts (bis 1850 0,68% pro Jahr, danach 0,65%) vergleichbar waren, veränderten sich die Variablen, auf denen sie beruhten: Die Mortalität ging klar zurück, zugleich sank aber auch die Fruchtbarkeit kontinuierlich weiter. Das Bevölkerungswachstum, das aus diesen Faktoren resultierte, wurde zum Teil durch Emigration abgeschwächt; bis in die 1880er Jahre hinein blieb die Schweiz ein typisches Auswanderungsland.

Wohnbevölkerung in der Schweiz 1798-2000a

ZeitraumEinwohnerbGesamtzunahmecWanderungssaldocAusländeranteilbAnteil der über 59-Jährigenb
1798-18371'664'8327‰---
1837-18502'190'2587‰-1‰--
1850-18602'392'7405‰-1‰2,9%-
1860-18702'510'4946‰-2‰4,6%8,4%
1870-18802'655'001d6‰-1‰5,7%9,0%
1880-18882'831'787d4‰-4‰7,4%9,0%
1888-19002'917'75411‰2‰7,8%9,4%
1900-19103'315'44312‰2‰11,6%9,3%
1910-19203'753'2933‰-3‰14,7%8,9%
1920-19303'880'3205‰-2‰10,4%9,3%
1930-19414'066'4004‰0‰8,7%10,7%
1941-19504'265'70311‰3‰5,2%13,1%
1950-19604'714'99214‰7‰6,1%14,0%
1960-19705'429'06114‰6‰10,8%15,1%
1970-19806'269'7832‰-2‰17,2%16,4%
1980-19906'365'9608‰5‰14,8%18,3%
1990-20006'873'6876‰3‰e18,1%19,2%
20007'288'010--20,5%e20,2%e

a 1798 Erhebungen der Helvet. Republik, 1837 der eidg. Tagsatzung sowie ab 1850 des Bundesstaats

b zu Beginn der Berechnungsperiode

c mittlere jährl. Zuwachsrate

d ortsanwesende Bevölkerung

e nach provisor. Ergebnissen der Volkszählung 2000

Wohnbevölkerung in der Schweiz 1798-2000 -  Bundesamt für Statistik; Historische Statistik der Schweiz; eidgenössische Volkszählungen

Die Umkehr der Migrationsströme

Ende der 1880er Jahre vollzog sich eines der Hauptereignisse der Schweizer Bevölkerungsgeschichte – die radikale Umkehr des Migrationsflusses. Von dieser Zeit an kamen wesentlich mehr Ausländer in die Schweiz, als Auswanderer das Land verliessen. Grund hierfür war der steigende Bedarf der wachsenden Schweizer Wirtschaft an Arbeitskräften. Der Grossteil der Ausländer stammte aus den umliegenden Ländern. Die Nachfrage nach Arbeitskräften in allen Sektoren war derart gross, dass 1837-1910 der Ausländeranteil von 2,6% (bei noch eingeschränkter Bewegungsfreiheit) auf 14,7% anstieg. Die meisten Zuwanderer stammten aus Deutschland. Hauptmerkmal ist die Konzentration der Einwanderung auf die Städte. Ballungsgebiete waren Zürich, Genf und Basel, die 30% aller in der Schweiz wohnhaften Ausländer auf sich vereinten. Der Bevölkerungsanstieg in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war mit einer räumlichen Umverteilung und ausgeprägten Urbanisierung der Bevölkerung im Mittelland gekoppelt: Lebten um 1800 6% aller Personen in Städten mit mehr als 5000 Einwohnern, so waren es 1910 33%. Gleichzeitig veränderten sich das Netzwerk und die Hierarchie der Städte. Zürich, dessen Bevölkerung sich zwischen 1850 und 1910 mehr als verzehnfachte – nicht zuletzt durch Eingemeindungen –, gelangte an die Spitze. Nicht nur Städte wuchsen durch die industriebedingte Einwanderung stark an, sondern auch Orte zweitrangiger Bedeutung, die sich auf neue Gebiete spezialisiert hatten. Bei diesem markanten Bevölkerungsanstieg spielte die natürliche Wachstumsbilanz nur noch eine untergeordnete Rolle.

20. bis Anfang 21. Jahrhundert

Zwischen 1914 (3,9 Mio. Einwohner) und 2000 (7,1 Mio. Einwohner) hat sich die Bevölkerung der Schweiz fast verdoppelt. Betrachtet man die einzelnen Jahrzehnte, so verlief die Entwicklung jedoch sehr unterschiedlich. Der Erste Weltkrieg brachte einen Einschnitt, bedingt durch den Wegzug zahlreicher Ausländer und ein neues demografisches Verhalten: Die Zahl der Eheschliessungen ging zurück und mit ihr die Geburtenrate, gleichzeitig stieg mit der Grippe-Epidemie von 1918 die Sterbeziffer. Besonders ausgeprägt war das verlangsamte Wachstum allerdings in den Zwischenkriegsjahren, bedingt durch die tiefe Fruchtbarkeit: Betrug die Geburtenrate vor dem Ersten Weltkrieg noch 26,9‰, so fiel sie bis 1938 auf 15,9‰, was lediglich 1,8 Kindern pro Frau entsprach. Die Weltwirtschaftskrise trug überdies zu einem erheblichen Rückgang ausländischer Arbeitskräfte bei. Der Ausländeranteil sank von 15,4% kurz vor dem Ersten Weltkrieg auf 5,2% im Kriegsjahr 1941.

Wohnbevölkerung der Schweiz (nach Alter, Geschlecht und Nationalität)
Wohnbevölkerung der Schweiz (nach Alter, Geschlecht und Nationalität) […]

Nach dem Zweiten Weltkrieg führte der Babyboom in der Schweiz wie in anderen westlichen Industrieländern zu einem Bevölkerungsanstieg, der um so stärker ausfiel, als die Sterblichkeit gleichzeitig zurückging. Ab Ende der 1950er Jahre trug auch die Hochkonjunktur wesentlich zum Wachstum und zur Veränderung der Bevölkerungsstruktur bei. Die starke Nachfrage nach Arbeitskräften konnte nur dank massiver Einwanderung befriedigt werden, eine Situation, die auch auf die geburtenschwachen Jahrgänge der 1920er und 1930er Jahre zurückzuführen ist. So ergab sich 1975 ein Ausländeranteil von 16,4%, wobei der Grossteil aus Italien stammte (1970 53,6% der ausländischen Wohnbevölkerung). 1941-1970 wuchs die Bevölkerung der Schweiz um knapp 50% (von 4,3 Mio. auf 6,3 Mio. Einwohner), und in den 1960er Jahren verzeichnete die Schweiz die höchste Wachstumsrate ganz Westeuropas. Die Rezession Mitte der 1970er Jahre, als eine grosse Anzahl Ausländer das Land verliess, und der Einbruch der Geburtenraten nach 1965 führten zu einer Trendwende in der Bevölkerungsbewegung. Das Bevölkerungswachstum blieb im folgenden Jahrzehnt wie auch in den 1990er Jahren moderat, zumal Massnahmen dafür sorgten, dass die Niederlassung von Ausländern in der Schweiz limitiert wurde. Im Gegenzug bewirkte das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der Europäischen Union, welches 2002 in Kraft trat, einen starken Zuzug an Immigranten und das grösste Wachstum seit den 1960er Jahren. 2008 entsprach der Zuwachs an Einwohnern fast der Bevölkerung des Kantons Zug.

Eidgenössische Volkszählung 2000, Personenfragebogen (BFS).
Eidgenössische Volkszählung 2000, Personenfragebogen (BFS). […]

Quellen und Literatur

  • Eidg. Volkszählungen, 1850-2000
  • HistStat, 91-175
  • W. Bickel, Bevölkerungsgesch. und Bevölkerungspolitik der Schweiz seit dem Ausgang des MA, 1947
  • A. Perrenoud, La population de Genève du seizième au début du dix-neuvième siècle, 1979
  • Gesch. der Schweiz und der Schweizer, 3 Bde., 1982-83
  • F. Höpflinger, Bevölkerungswandel in der Schweiz, 1986
  • M. Mattmüller, Bevölkerungsgesch. der Schweiz, Tl. 1, 2 Bde., 1987
  • A. Schluchter, Die Bevölkerung der Schweiz um 1800, 1988
  • P.P. Viazzo, Upland Communities, 1989
  • P. Dubuis, Les vifs, les morts et le temps qui court, 1995
  • Pfister, Bern
  • C. Schucany, «Solothurn und Olten - Zwei Kleinstädte und ihr Hinterland in röm. Zeit», in ArS 22, 1999, 88-95
  • L. Lorenzetti, «Popolazione e vicende demografiche», in Storia della Svizzera italiana dal Cinquecento al Settecento, hg. von R. Ceschi, 2000, 397-428
  • R. Schumacher, Structures et comportements en transition: la reproduction démographique à Genève au 19e siècle, 2010
Weblinks

Zitiervorschlag

Anne-Lise Head-König: "Bevölkerung", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 30.03.2012, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/007946/2012-03-30/, konsultiert am 29.03.2024.