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Freigrafschaft Burgund

Die Freigrafschaft Burgund (französisch Franche-Comté), eine französische Landschaft, grenzt an die Westschweiz und liegt zwischen Elsass, Champagne und Burgund. Seit 1960 bildet sie eine Verwaltungsregion, welche die Departemente Doubs, Jura, Haute-Saône und Territoire de Belfort umfasst. Die Freigrafschaft oder Grafschaft gehörte zum Ersten und Zweiten Königreich Burgund. Sie wurde im 10. Jahrhundert als Grafschaft Burgund errichtet und nach dem Tod König Rudolfs III. 1032 dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation angegliedert. Im 13. Jahrhundert geriet die Freigrafschaft mehr und mehr in den Einflussbereich der burgundischen Herzöge. 1361 gelangte sie an Flandern und fiel mit diesem 1384 wieder an die burgundischen Herzöge zurück. Als Teil des Herzogtums Burgund kam die Freigrafschaft nach dem Tod Karls des Kühnen 1477 zwischenzeitlich an Frankreich, bevor sie 1493 im Vertrag von Senlis den Habsburgern zugeschlagen wurde. Das Gebiet blieb beim Heiligen Römischen Reich, bis es 1678 von Frankreich annektiert wurde. Die Reichsstadt Besançon wurde der Freigrafschaft angegliedert und nun anstelle von Dole zur Hauptstadt der Provinz erhoben. Im Mittelalter umfasste die Erzdiözese Besançon auch die Diözesen Lausanne und Basel. Die Freigrafschaft blieb im 16. Jahrhundert katholisch. Gesprochen wurde französisch, im Norden die Langue d'oïl, im Süden das Frankoprovenzalische.

Karte von Gerhard Mercator, veröffentlicht in Amsterdam 1595 in seinem Werk Atlas sive Cosmographiae Meditationes de Fabrica Mundi [...] (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern).
Karte von Gerhard Mercator, veröffentlicht in Amsterdam 1595 in seinem Werk Atlas sive Cosmographiae Meditationes de Fabrica Mundi [...] (Schweizerische Nationalbibliothek, Bern). […]

Nach Beendigung der Burgunderkriege verzichteten die Eidgenossen gegen Bezahlung von 150'000 Gulden auf ihre Ansprüche auf die Freigrafschaft. Trotzdem unternahmen sie noch einige Streifzüge, und die Grenzstreitigkeiten wurden erst 1862 mit dem Vertrag von Dappes endgültig beigelegt. Allerdings wurde bereits 1511 in der Erbeinung zwischen Maximilian von Österreich und den Eidgenossen die gegenseitige Anerkennung des territorialen Status quo und eine Nichtangriffsklausel vereinbart. 1512 schlossen Margarete von Österreich und Frankreich einen Vertrag, der die Neutralität der Freigrafschaft anerkannte; dieser Vertrag wurde später mehrfach erneuert. Die Eidgenossen sollten die Einhaltung dieser Vereinbarung garantieren; sie waren aber zu schwach, um die Freigrafschaft militärisch zu verteidigen, und begnügten sich deshalb mit diplomatischen Interventionen. Ihre Schwäche war durch die starke Abhängigkeit von Frankreich und ihre konfessionelle Zerrissenheit bedingt. Sie konnten die Freigrafschaft weder während des Dreissigjährigen Kriegs (insbesondere nicht während des Französisch-Schwedischen Kriegs 1635-1648) schützen noch verhindern, dass Ludwig XIV. 1668 und 1674 diese besetzte. Derem definitiven Anschluss an Frankreich durch den Vertrag von Nimwegen (1678) mussten sie ohnmächtig zusehen. Die Freigrafschaft wurde bis zur Revolution gewissermassen als ausländische Provinz Frankreichs angesehen; der Handel mit dem übrigen Königreich war ebenso durch Zollschranken behindert wie derjenige mit den Schweizer Nachbarn.

Zwischen der Freigrafschaft und der Schweiz besteht seit jeher ein intensiver Austausch. Vom Mittelalter an kauften die Eidgenossen Wein, Getreide, Eisen und vor allem Salz. Vor wie nach der französischen Eroberung war ein reger Schmuggel im Gange. Zunächst wurden hauptsächlich Salz und zunehmend auch Stoffe geschmuggelt, später Tabak und Bücher, gelegentlich auch Getreide, Vieh und Holz. Kapital aus der Schweiz, häufig aus Basel, förderte in der Freigrafschaft die Entwicklung der Industrie, insbesondere der Metallindustrie. Mit den vielen reisenden Geschäftsleuten und Migranten, welche die Grenzen regelmässig überquerten, gelangten auch neue Ideen und Fertigkeiten ins jeweilige Nachbargebiet. Ab Ende des 15. Jahrhunderts trugen Zuwanderer aus der Freigrafschaft viel zum Entstehen einer metallverarbeitenden Protoindustrie im Waadtländer Jura bei. Nach dem Dreissigjährigen Krieg zogen viele Schweizer aus den katholischen Kantonen in die entvölkerte Freigrafschaft. Im 17. Jahrhundert produzierten Greyerzer im französischen Jura Käse, und Schweizer Wiedertäufer führten in der Gegend von Montbéliard die Aufzucht von Simmentaler Fleckvieh ein. Glasmacher aus dem Schweizer Mittelland waren im 18. Jahrhundert für den Aufschwung der Glasherstellung in der Freigrafschaft mitverantwortlich.

1790 wurde das Gebiet in die drei Departemente Jura, Doubs und Haute-Saône unterteilt. Das Fürstentum Montbéliard, das Frankreich 1793 annektiert hatte, wurde 1797 dem Departement Haut-Rhin und 1816 dem Departement Doubs angegliedert. Die seit der Revolution bestehenden Grenzen zwischen der Freigrafschaft und der Schweiz bildeten kein Hindernis für den Austausch und Grenzverkehr, auch nicht in Kriegszeiten (eidverweigernde Priester aus der Freigrafschaft, Burgunderfeldzug, gegen das preussische Regime opponierende Neuenburger Uhrmacher, Überlebende der Bourbakiarmee, politisch Verbannte aus der Pariser Kommune, zu internierende zivile oder militärische Flüchtlinge während des Ersten und Zweiten Weltkriegs). Auch heutzutage wird schweizerisches Kapital in der Freigrafschaft investiert und lassen sich dort Schweizer Industrielle nieder, insbesondere in Pontarlier und Besançon, wobei die Agrar- und Ernährungswirtschaft, die Metall- und Uhrenbranche sowie die Mikrotechnik im Vordergrund stehen. Die Schweizer gehen regelmässig in die Freigrafschaft, um dort einzukaufen oder ihre Ferien zu verbringen. Umgekehrt arbeiten viele Grenzgänger aus der Freigrafschaft in der Schweiz. 2001 waren es 15'213, davon 11'116 aus dem Departement Doubs stammende Personen, die mehrheitlich in der Waadt, in geringerer Zahl auch in den Kantonen Neuenburg und Jura angestellt waren. Der Verkehr auf den grenzüberschreitenden Strassen nimmt ständig weiter zu. Die einzige Autobahnverbindung zwischen der Freigrafschaft und der Schweiz führt über Mülhausen nach Basel. An der Achse Besançon-Pontarlier-Vallorbe sind die Ausbauarbeiten seit langem in Gang; von der Transjurane Delsberg-Pruntrut-Delle-Belfort bestehen einzelne Teilstücke. Der Eisenbahnbau weckte zunächst grosse Hoffnungen. Ab den 1930er Jahren wurden jedoch zahlreiche Linien aufgehoben, und die Situation hat sich seither nicht verbessert. TGV-Verbindungen verlaufen von Dole über Neuenburg nach Zürich und durch den 1916 angelegten Mont-d'Or-Tunnel nach Lausanne.

Quellen und Literatur

  • V. Chomel, J. Ebersolt, Cinq siècles de circulation internationale vue de Jougne, 1951
  • S. Daveau, Les régions frontalières de la montagne jurassienne, 1959
  • P.-L. Pelet, Fer, charbon, acier dans le Pays de Vaud, 3 Bde., 1973-83
  • Histoire de la Franche-Comté, hg. von R. Fiétier, 1977
  • J. Courtieu, La Franche-Comté de la conquête française à la Révolution, 1978
  • F. Lassus, Métallurgistes franc-comtois du XVIIe au XIXe siècle, 1980
  • M. Gresset, «La correspondance entre le Conseil d'Etat de Neuchâtel et l'intendant de Franche-Comté au milieu du XVIIe siècle», in Cinq siècles de relations franco-suisses, 1984
  • G.-J. Michel, Verriers et verreries en Franche-Comté au XVIIIe siècle, 1989
  • Horlogeries, hg. von J.-L. Mayaud, Ph. Henry, 1995
  • A. Radeff, Du café dans le chaudron, 1996
  • Tableaux de l'économie franc-comtoise, 1998
  • R. Ferrer, Tabac, sel, indiennes ...: Douane et la contrebande en Franche-Comté au XVIIIe siècle, 2002
  • L'Arc jurassien: histoire d'un espace transfrontalier, hg. von J.-C. Daumas, L. Tissot, 2004
Weblinks
Normdateien
GND

Zitiervorschlag

Anne Radeff: "Freigrafschaft Burgund", in: Historisches Lexikon der Schweiz (HLS), Version vom 08.05.2007, übersetzt aus dem Französischen. Online: https://hls-dhs-dss.ch/de/articles/006624/2007-05-08/, konsultiert am 28.03.2024.